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Wissen

Hier findest du Übungen und vertiefendes Wissen rund um die soziokratische Wahl.

Wissensvertiefung

Körperübung für Schüler:innen als Vorbereitung auf den Konsent

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Um zwischen der persönlichen Präferenz und einer Übereinstimmung von Meinungen  (=Konsens) und der Lösung zugunsten der Gruppenziele ohne Einwand (=Konsent) unterscheiden zu können, hilft es zu wissen, wie sich Konsens und Widerspruch/Einwand im Körper anfühlen. Das Gefühl dazwischen ist das Gefühl des Toleranzbereichs und Konsent bedeutet"Ich kann damit leben und übernehme die Verantwortung für den Vorschlag". 

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Übung: Bitte die Schüler:innen mit geschlossenen Augen, sich eine sehr positive Situation vorstellen, in der sie das Gefühl haben, dass ihnen etwas richtig, richtig Gutes passiert. Eine Entscheidung, die für sie ganz persönlich so richtig gut war. Lass sie ihre Hand auf die Körperstelle legen, an der sie dieses Gefühl des inneren Konsens spüren. 

Als Nächstes bittest du die Schüler:innen, sich eine Situation vorzustellen, in der ihr Bauchgefühl ihnen gesagt hat, dass eine Entscheidung oder Handlung einfach nicht richtig ist. Oder eine Situation, in der sie ein klares NEIN in sich gespürt haben. Lass sie ihre Hand auf die Körperstelle legen, an der sie dieses Gefühl des inneren Einwandes spüren. 

 

Als letztes bittest du die Schüler:innen, dieses Gefühl des inneren Einwandes zu nehmen und es wie ein Geschenk mit beiden Händen vor sich oder in den Kreis zu legen. Dieser Einwand ist sehr wertvoll, weil er Informationen darüber enthält, warum ein Vorschlag nicht "sicher genug ist, um ihn zu versuchen".

Runden moderieren: Ein Lernfeld zur Veränderung von Partizipationsmustern

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Normalerweise gibt es in jeder Kleingruppe immer eine Person, die am extrovertiertesten ist und die viel und schnell redet. Das ist nicht negativ gemeint, sondern entspricht dem Wesen der Person. Es bedeutet jedoch, dass die anderen Gruppenmitglieder kaum oder gar nicht zu Wort kommen. Normalerweise merken die Extrovertierten das gar nicht. Sie oder er könnte denken, dass die anderen, wenn sie sich nicht sofort zu Wort melden, gar keine Meinung haben. 

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Im Rahmen der offenen Wahl kann gerade diesen Schülern eine neue, wichtige Aufgabe übertragen werden: Sie sind aufgefordert, ihre Stärken neu einzusetzen und sich in der Moderation zu üben. Als Moderatoren sind sie dafür verantwortlich, dass jeder in der Kleingruppe zu Wort kommt und sie selbst ihre eigenen Ideen und Meinungen erst einmal zurückhalten.

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Für die Gemeinschaft und damit auch für die gemeinsame Lösungsfindung ist es eine unglaubliche Bereicherung, wenn alle zu Wort kommen und ihre Perspektiven einbringen können. Die Kommunikationsform des Sprechens im Kreis bietet dafür Orientierung und strukturelle Unterstützung. Jeder hat die Möglichkeit, der Reihe nach etwas zu sagen. Die anderen hören zu und warten, bis sie an der Reihe sind. Wenn ihnen während des Zuhörens eine Idee kommt, die sie unbedingt loswerden wollen, bittet der Moderator sie, die Idee aufzuschreiben und der Person, die gerade spricht, noch einmal zuzuhören. Eine weitere wichtige Aufgabe für die extrovertierten Schüler ist es, genau zuzuhören. Die Zuhörebenen der Theorie U von Otto Scharmer geben einen guten Überblick über die Kraft des Zuhörens.

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Umsetzung mit Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf

 

Lehrkräfte, die soziokratische Klassensprecherwahlen in inklusiven Klassen mit Schüler:innen mit sprachlichen Einschränkungen und Hörbehinderungen durchführen möchten, sollten folgende Aspekte berücksichtigen:

 

  • Die Anpassung der Gruppengröße und eine optimale Raumakustik schaffen eine barrierearme Lernumgebung. Schülermikrofone sind für Klassen mit hörbehinderten Schüler:innen in jeder Unterrichtssituation unabdingbar. Soundfieldanlagen sorgen für eine optimale Sprachübertragung für alle Schüler:innen und ermöglichen das Verstehen und damit die Beteiligung. Kreisgespräche bieten visuelle Unterstützung und stärken die gemeinsame Diskussion

  • Die Festlegung klarer Kommunikationsregeln ermöglicht eine inklusive Kultur des Austauschs und die aktive Teilnahme aller. Ein bewusstes Lehrerecho sorgt dafür, dass Informationen korrekt und mehrfach wahrgenommen werden können. Klare Artikulation und eine einfache Sprache der Lehrkräfte fördern die Aufmerksamkeit der Lernenden und das Verstehen. Nur eine Person spricht, so werden Störgeräusche minimiert.

  • Die Erarbeitung des benötigten Wortschatzes zu Stärken, Gefühlen und Bedürfnissen im Vorfeld schafft eine Grundlage für den Dialog und erleichtert zusammen mit Formulierungshilfen für die Argumentation die Beteiligung. Tafelbilder visualisieren das Erarbeitete, fördern somit das Verständnis und ermöglichen die individuelle Weiterarbeit.

  • Simultane Mitschriften unterstützen Schüler:innen mit Wahrnehmungs- und Speicherproblemen dabei, der Diskussion zu folgen und sich entsprechend mit eigenen Vorschlägen einzubringen.

  • Die Integration von Hörpausen ermöglicht hörgeschädigten Schüler:innen eine notwendige Erholung. Diese kann durch eine Rhythmisierung des Unterrichts in gemeinsame und individuelle Lernphasen ermöglicht werden.

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Wie kann man eine offene Wahl durchführen, wenn sich die Schüler:innen nicht gut kennen?

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Es spielt keine Rolle, wie gut sich die Schüler:innen untereinander kennen, denn sie müssen ohnehin ein Klassensprecherteam wählen. In einer neuen Klasse kann auf jeden Fall die Einführung und die soziokratische Rollenbeschreibung durchgeführt werden und von da aus zur geheimen Wahl übergegangen werden. Geheime Abstimmungen sind jedoch meist mit Wahlkämpfen verbunden, an denen nur die lauten und extrovertierten Schüler teilnehmen. Das offene Wahlverfahren baut auf der Stärke auf, dass diese Schüler:innen sich immer noch selbst nominieren können, gleichberechtigt mit anderen Nominierungen. Wir unterschätzen oft, wie sehr wir die Qualitäten und Fähigkeiten anderer Menschen schon nach kurzer Zeit wahrnehmen.

Wir sehen es als eine großartige Chance, schon in der ersten Klasse direkt die soziokratische Wahl durchzuführen. 

Rechtskonforme Klassensprecherwahl mit Soziokratie
 

Jedes Land hat sein eigenes Schulgesetz, in dem die Wahl des Klassensprechers meist gesetzlich geregelt ist. In unserer langjährigen Erfahrung haben wir gelernt, dass es in den Schulen verschiedene Möglichkeiten gibt, wie die Wahl durchgeführt wird. Die wichtigste Wahlmethode für die Wahl des Klassensprechers ist die geheime Wahl, da die geheime Wahl die wichtigste demokratische Wahlmethode für Parteiwahlen ist. Aus unserer Sicht ist die Gruppengröße einer Klasse nicht mit der eines Landes vergleichbar, weshalb wir uns für die soziokratische Wahlmethode für den Klassensprecher einsetzen. Möglicherweise verbietet das Schulgesetz eine integrative, auf Argumenten basierende und ko-kreative Methode zur Wahl der Klassensprecher, da Mehrheitsentscheidungen eine Minderheit schaffen, die dann überstimmt wird. Hoffentlich gibt das Schulgesetz eines Tages die Wahlfreiheit über die Entscheidungsmethode für die Wahl der Klassensprecher frei.
 

Eine Möglichkeit, das soziokratische Prinzip in das geheime Wahlverfahren zu integrieren, besteht darin, die Kandidaten für die geheime Wahl soziokratisch zu nominieren.
 

Wenn es keinen Artikel gibt, der festlegt, wie die Kandidaten für die geheime Wahl gefunden werden müssen, wäre dies eine gute Möglichkeit, das soziokratische Wahlverfahren zu nutzen, um zwei Kandidaten zu nominieren, die dann in geheimer Wahl gewählt werden.

Einwände und wie man sie integriert

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Einspruch bezieht sich auf ein berechtigtes Anliegen oder Problem, das von einem Teilnehmer oder einer Teilnehmerin während einer Diskussion oder eines Vorschlags vorgebracht wird. Er zeigt an, dass der Vorschlag noch nicht vollständig ist und einer weiteren Prüfung bedarf. Einwände werden in der Regel erhoben, wenn ein:e Teilnehmer:in der Meinung ist, dass der Vorschlag negative Folgen haben könnte oder wichtige Faktoren außer Acht lässt. Sie sind ein wichtiger Teil des Entscheidungsfindungsprozesses, da sie dazu beitragen, potenzielle Fehler oder Schwächen des Vorschlags zu erkennen. Die Berücksichtigung von Einwänden kann zu einem akzeptierten und wirksamen Vorschlag führen.

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In Prozessen der Entscheidungsfindung werden Einwände als wertvolle Beiträge betrachtet, da sie Einblicke in die Erfahrung und Perspektive einer Person geben und darauf hinweisen, dass der Vorschlag verbessert werden muss. Es ist ein Geschenk, wenn man den Mut hat, seinen Einwand vorzubringen. Wenn wir als Gruppe bereit sind, dass wir nicht mit den Augen rollen oder die Augen verdrehen, wenn man einem Vorschlag noch nicht zustimmen kann, sondern stattdessen ein Ton der Neugier und Wertschätzung herrscht, ist es möglich, gemeinsam zu klügeren und umfassenderen Entscheidungen zu kommen.

 

Hilfreiche Fragen, um Einwände zu integrieren: 

  • Ist der Vorschlag nicht deine persönliche Präferenz oder siehst du unser gemeinsames Ziel in Gefahr, wenn wir es mit diesem Vorschlag versuchen? 

  • Erzähle uns mehr über deinen Einwand, was fehlt in unserem Vorschlag? 

  • Für welchen Zeitrahmen wäre es sicher genug, es zu versuchen? (Speziell für die Klassensprecher: Mache den Schülern klar, dass der Zeitraum für ihre Amtsdauer nur ein Jahr beträgt).

Machtverschiebungen mit der Soziokratie

 

Machtverschiebungen beziehen sich auf den Prozess des Übergangs von traditionellen hierarchischen Machtstrukturen zu kollaborativen und dezentralisierten Machtstrukturen. Dieser Wandel bedarf einer Umverteilung von Macht und Entscheidungsbefugnissen zwischen Einzelpersonen oder Gruppen innerhalb einer Organisation oder Gesellschaft. Das Ziel der Machtverschiebung ist die Förderung von mehr Gerechtigkeit, Inklusivität, Weisheit und Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Dies kann zu effektiveren Problemlösungen, mehr Innovation und besseren organisatorischen oder gesellschaftlichen Gesamtergebnissen führen. Machtverschiebungen erfordern die Bereitschaft, die bestehende Machtdynamik in Frage zu stellen, und das Engagement für kontinuierliches Lernen und Wachstum.

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Der Entstehungsgrund für das 4. Prinzip in der Soziokratie

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Gerard Endenburg (NL) hat die soziokratische Kreismethode, wie wir sie heute kennen, definiert. Er war Schüler in einer Schule, in der Schüler:innen und Lehrkräfte gemeinsam Entscheidungen im Konsens trafen und erfuhr somit schon in seiner Jugend den Wert solcher Entscheidungen und Gruppenprozesse. Nach der Schule studierte er Ingenieurwesen und Kybernetik und war fasziniert davon, wie sich Systeme durch ihre Rückkopplung Regelung selbst regulieren. 

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Als Endenburg die Chance bekam, das Familienunternehmen 'Endenburg Electronics' zu leiten, wollte er die soziale Harmonie durch Beteiligung mit den selbstregulierenden Mechanismen der Kybernetik verbinden. Ihm war es wichtig, ein Managementinstrument zu finden, das Gleichheit, Feedback und Transparenz, aber auch Effizienz gewährleistet. 

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So erfand er die ersten drei Prinzipien der Soziokratischen Kreis-Methode (SKM): 

  1. Der Konsent regelt die Entscheidungsfindung. Das bedeutet nicht, dass alle Entscheidungen im Einvernehmen getroffen werden, sondern dass eine Gruppe im Konsent, dem Kein-Einwand-Prinzip, entscheidet, wie sie entscheidet. 

  2. Der Kreisprozess sorgt für ein ständiges Feedback und Verbesserung. 

  3. Arbeitskreise haben ihre eigenen Ziele und Befugnisse und sind mit einem Leiter und einem Delegierten doppelt verbunden. 
     

Diese drei Prinzipien verbesserten die Teamarbeit innerhalb des Unternehmens  erheblich. Endenburg erkannte jedoch, dass die Art und Weise, wie Menschen für neue Positionen rekrutiert wurden, nicht transparent war, sondern in der Macht Einzelner lag. Aus diesem Grund führte er das vierte Prinzip der offenen Wahl ein, das sicherstellt, dass die Entscheidung, wer die Autorität einer neuen Rolle erhält, ein auf Argumenten basierender und transparenter Gruppenprozess ist. Mit diesem Prinzip wird der größte Machthebel innerhalb einer Gruppe und Organisation zur gemeinsamen Verantwortung.

Erfolgreiche Schülerbeteiligung im restlichen Schuljahr mit Hilfe der Stufen der Beteiligung

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Beteiligung ist nicht gleich Beteiligung. Es gibt mehrere Stufen und konkrete Begriffe, die die Beteiligung besser beschreiben. Für eine erfolgreiche Beteiligung ist es hilfreich, genau zu definieren, zu kommunizieren oder zu erfragen, um welche Art der Beteiligung es sich handelt. Diese 4 Stufen geben einen schnellen Überblick: 

 

Vorstufen von Partizipation - es wird keine Entscheidungsmacht geteilt: 

  1. Informieren und informiert werden: Hier werden Themen, Prozesse, Anliegen, Entscheidungen, Vorgehen transparent gemacht. Es wird aber keine Meinung darüber ausgetauscht. 
     

  2. Meinungen einholen oder Meinung einbringen: Vor einer anstehenden Entscheidung bringt die dafür verantwortliche Person, entweder die Lehrkraft oder ein Schüler, in Erfahrung, wie die Betroffene die Ausgangssituation, Lösungsansätze oder Konsequenzen einschätzen, um dies bei der Entscheidung eventuell zu berücksichtigen. Wichtig ist hier, zu kommunizieren, dass die verantwortliche Person alleine entscheidet und die eingebrachten Meinungen nicht 1:1 berücksichtigt werden. Im besten Fall wird im Nachgang darüber informiert, wie diese Meinungsrunde den Entscheidungsprozess beeinflusst hat.

    Stufen der Partizipation - es wird Entscheidungsmacht geteilt oder abgegeben: 

  3. Mitbestimmung zulassen: Lehrkräfte binden Schüler:innen in gewisse Entscheidungen ein und stimmen gemeinsam darüber ab, was geschehen soll. Das Konsent-Prinzip ist dafür sehr gut geeignet, um alle gut einzubinden und die Mitverantwortung für die Entscheidung zu erreichen. Die Lehrkraft gibt selbst auch ihren Konsent zur Lösung. 
     

  4. Entscheidungskompetenz wird teilweise abgegeben: Lehrkräfte übertragen Schüler:innen, Eltern oder anderen Lehrkräften in bestimmten Bereichen eine eigenständige Entscheidungsbefugnis. Wichtig dabei ist es, dass ein klarer Rahmen gesetzt wird, in dem selbst gestaltet und entschieden werden darf. Bei i einem Klassenausflug beispielsweise sollten die Schüler:innen wissen, welche Regeln es für einen Schulausflug seitens der Aufsichtspflicht, zeitlicher Rahmen oder Kosten gibt. Sobald die Verantwortung für die Wahl des Ausflugsziels an die Klasse übergeben wird, ist es wichtig, dass sich die Lehrkraft nicht mehr einmischt, außer, um den Rahmen klarer zu definieren.

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